04.10.2010
„Kunst und Kohle“ zeigt beeindruckende Nutzung
Prof. Dr. Noll: „Wir erhoffen uns von der Einbeziehung der Kreativen, dass sich das innovative Potenzial und die positive Ausstrahlung nicht nur auf die einzelne Fläche beschränken, sondern auch auf die umliegenden Stadtteile übergreift und so auch die Bevölkerung von der Entwicklung profitiert“.
Dabei folgt die RAG Montan Immobilien nicht dem aktuellen Modetrend, die Kreativwirtschaft als Allheilmittel für die Revitalisierung von Krisenregionen anzusehen. Prof. Dr. Noll berichtet von einer umfassenden Studie zur Nutzung ehemaliger Zechenstandorte durch Kulturschaffende und Künstler, die derzeit erarbeitet werde. Unter dem Titel „Kunst und Kohle“ zeigt die Untersuchung, wie seit den 60er Jahren Kreative die Gebäude auf ehemaligen Schachtanlagen nutzen. Auf vielen Standorten gehen heute Medienmacher, Kreative, Werber, Agenturen, etc. ihrem Business nach, entwickeln sich zu einem maßgeblichen Wirtschaftsfaktor mit erheblichen Umsatz- und Beschäftigtenzahlen. Allein in der Metropole Ruhr arbeiten 13.200 Unternehmen in dieser Branche und schaffen 74.000 Arbeitsplätze. Während viele Industriezweige Standorte auf der „grünen Wiese“ bevorzugen, haben Künstler und kreative Unternehmer den unverwechselbaren Charme und die architektonische Qualität ungenutzter Industriegebäude für ihre Arbeitsräume, Ateliers und Events entdeckt. Als wesentlicher Bestandteil einer wissensbasierten Ökonomie unterstützt die Kreativwirtschaft darüber hinaus urbane Modernisierungsprozesse und wird selbst zum Standortfaktor.
Dieser Wirkung spürt die Untersuchung in vierzehn Praxisberichten nach. So auf der ehemaligen Schachtanlage „Consolidation“ in Gelesenkirchen, auf der im September 2001 einige Kreative das „Consol-Theater“ eröffneten, und sich um diesen Nukleus herum ein Stadtteilzentrum und ein bundesweit beachtetes Veranstaltungszentrum entwickelte. Oder auf der ehemaligen Zeche „Mont Cenis“, auf der mit der Fortbildungsakademie des lnnenministeriums Nordrhein-Westfalens jährlich rund 1000 Veranstaltungen stattfinden. Oder in der Maschinenhalle der Zeche „Zweckel“ in Gladbeck , die mit ihren imposanten Ausmaßen von 126 Metern Länge, 31 Metern Breite und 20 Metern Höhe mittlerweile zum ständigen Spielort der Ruhrtriennale geworden ist.
Die Studie spannt damit den Bogen von dem durch die Kulturhauptstadt 2010 national und international bekannt gewordenen Welterbe Zeche „Zollverein“, Essen, zurück bis zu den eher spontanen Anfängen bei der Künstlerzeche „Unser Fritz“, Herne. Sie thematisierte die unterschiedlichen Phasen der Aneignung der ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet durch die Kultur: In der frühen „Experimentier- oder Laissez-faire-Phase“ der 60er-Jahre wurden einzelne Gebäude Künstler/innen oder Kultureinrichtungen zu einem günstigen Mietpreis – überwiegend auf Zeit – zur Verfügung gestellt. Mit Beginn der 70er Jahre überwiegt eine „Ausbau- und Integrationsphase.“ Seitdem wurden im Rahmen erster strategischer Entwicklungskonzepte einzelne kulturbezogene Einrichtungen wie etwa Künstler- und Atelierhäuser gezielt bei der Umnutzung berücksichtigt. Beispielsweise wurden im Rahmen der „Internationalen Bauausstellung Emscherpark“ (1989-1999) wichtige Anstöße zur Umnutzung gegeben. Seit einigen Jahren werden verstärkt kulturelle und kulturwirtschaftliche Nutzungsbausteine konzeptionell in Entwicklungsstrategien integriert. Bestandteil dieser „Konzeptionsphase“ ist die zielgerichtete Zwischennutzung von Gebäuden durch Künstler oder Kleinunternehmen der Kultur und Kreativwirtschaft. Fast zwanzig Fallbeispiele verdeutlichen und belegen die unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten.
Die Macher der Studie schlagen vor, zukünftig jeden ehemaligen Zechenstandort auf seine Nutzung für die Kreativwirtschaft zu prüfen. Nachteile bei der Lage sollten über spezifische Maßnahmen ausgeglichen werden. Bei der Bestandsentwicklung seien dann die typischen Bedürfnisse der Kultur- und Kreativwirtschaft zu beachten. So ist die Größe der Gebäude oder Gebäudeteile flexibel zu gestalten. Auch eine temporäre Nutzung in Zeiträumen von mindestens fünf Jahren sollte möglich gemacht werden. Es ist zu beachten, dass die Branche eher kleinteilig aufgestellt ist. Demnach ist es hilfreich, „Entwicklungsinseln“ bereitzustellen, an denen sich die Kreativunternehmen orientieren können. In jedem Fall sollten die Entwickler die Einbeziehung von Kreativen in die Nutzung ehemaliger Zechenstandorte als Prozess verstehen, der immer wieder auch flexible Reaktionen verlangt.
„Eine Stärke der Studie ist die Gesamtschau der schon vorhandenen Nutzung. Das ist beeindruckend“, sagt Prof. Dr. Noll, und fügt an: „Viel wichtiger aber sind die Anregungen für die tägliche Arbeit der RAG Montan Immobilen, wie sie bei der Entwicklung des Kreativquartiers auf der ehemaligen Schachtanlage Lohberg in Dinslaken ihren Ausdruck finden“.
Eine erste Zusammenfassung der Studie erscheint zur Expo Real 2010 in München als Broschüre. Die vollständige Studie wird demnächst veröffentlicht.
Das Foto zeigt die Malerin Sabine Hulvershorn bei ihrer Arbeit im Kreativquartier Lohberg in Dinslaken im Schatten des Lohberger Förderturms